Scooter - The Fifth Chapter

Es ist, als hätte H.P. Baxxter seinen „Leoparden“ gelesen. In Lampedusas Buch heißt es für alle Ewigkeit: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.“

Tatsächlich wagen Scooter im 20. Jahr ihres Bestehens noch einmal alles und veröffentlichen ein durchweg modern klingendes, von subtiler, bisweilen dadaistischer Selbstironie durchdrungenes Album, das sich nicht wie so oft in der Vergangenheit von Single zu Single schreit, sondern wie ein klassisches Pop-Album einen echten Spannungsbogen besitzt. Aber man hat nie das Gefühl, eine andere Band zu hören. Im Gegenteil: Scooters 17. Studioalbum „The Fifth Chapter“ klingt, als habe man im Club die Verstärker und die Boxen ausgewechselt.

Die Generalüberholung war nötig geworden, da der Abschied von Gründungsmitglied Rick J. Jordan nach Beendigung der „20 Years of Hardcore“-Tour eine klaffende Lücke im Bandgefüge hinterlassen hatte. H.P. Baxxter sah sich als Maximo Leader und —neben Band Manager und Kontor Records Mastermind Jens Thele — einziges verbliebenes Mitglied der Ur-Besetzung auf einem Mal mit noch größerer musikalischer Autorität ausgestattet als zuvor. Denn was helfen 23 Top Ten-Hits, 30 Millionen verkaufte Tonträger und über 90 Gold- und Platin-Awards weltweit — Scooter sind Deutschlands erfolgreichster Chartact seit Einführung der Singlecharts —, wenn man nicht nachlegt?

„Wir mussten handeln“, erzählt H.P. bei schönstem Spätsommerwetter am Steuer seines historischen Jaguar E-Type, Serie I Coupé, auf Spritztour durch Nordfriesland: „Wir suchten und fanden mit Phil Speiser einen neuen Mitstreiter, der sich so krass in der Gegenwart der Produktionstechnik bewegt, dass jedes Arbeiten an einem neuen Track zu einem Sparring wie im Boxkampf wurde. Michael Simon, Phil und ich haben uns extrem gegenseitig gepusht.“

Was H.P. als „pushen“ bezeichnet, ist im Falle Scooters gleichzusetzen mit einer neuen Dynamik in einer musikalischen Dreiecksbeziehung, in der sich der Wunsch nach Erneuerung innerhalb der Band durchsetzen konnte gegenüber der Forderung vieler Fans, es möge alles auf ewig so bleiben, wie es immer war. H.P.: „Ich hörte privat in den letzten zwei Jahren zunehmend Musik, die nicht mehr dem Sound Scooters entsprach. Das ist zwar einerseits normal. Aber wenn man diese Parallelwelten zulange zulässt, baut sich ein enormer Druck im Kessel auf. Mit der neuen Besetzung konnten wir dieses Ventil öffnen, neue Einflüsse radikal und puristisch in unseren neuen Sound integrieren.“

„Vier, fünf Monate“, sagt H.P., habe es gedauert, bis Phil seine Rolle als Impulsgeber neben Michael Simon gefunden hätte. Es bedarf keiner Kenntnisse in Raketentechnik, um sich auszurechnen, dass das neue Album also in einem vergleichsweise kompakten Zeitraum aufgenommen wurde. H.P.: „Wie eine Kettenreaktion ging das los.“

Der bouncende Abwechslungsreichtum von „The Fifth Chapter“ ist dabei einerseits respekteinflößend und zugleich so verlässlich laut wie eh und je: Es gibt Power-Chords, geniale Hooks („Life is the only thing we are dying for!“ im Track „King of the Land“), MCing, Electro House, Hardcore, Post Hardcore, Hi NRG und Deep House, dazwischen finden sich eingestreut augenzwinkernde Querverweise auf Kraftwerk, The KLF, Skrillex, The Beatles und The Prodigy, überhaupt ist das Album durch und durch von Zitatebenen durchzogen – und natürlich bietet es wie eh und je den Raum für die ganz großen Cinemascope-Emotionen, die bis ins Craxxxmurf-hafte gepitchten Stimmen, die brutalen Highspeed Sound-Ohrfeigen, wegen derer Scooter seit 25 Jahren aufgelegt werden, wenn es einmal verlässlich auf die Zwölf gehen soll.

Und dann das: „Can’t Stop the Hardcore“, der 15. von insgesamt 17 neuen Tracks auf „The Fifth Chapter“ mischt noch einmal alle Karten neu. Die weltbekannte Pasodoble-Melodie von „Eviva Espana“ aus dem Jahr 1971 modulierte H.P. Baxxter in ein klassisches, fast akustisches Trinklied um, indem er genial-bekloppte Lyrics („Put your middlefingers in the air! / You can’t stop the hardcore! / Drinking Vodka Belvedere! / You can’t stop the hardcore!“) mit digitalen Syrtaki-Rhythmen kreuzte.

„Ich hatte diese Vision, dass auch Scooter ein Trinklied für die Ewigkeit benötigen – genau so, wie die Toten Hosen mit ‘Eisgekühlter Bommerlunder’ auch eins haben. Der Syrtaki-Beat erlaubte es uns zudem, das Stück mit jedem Refrain schneller und schneller werden zu lassen.“

Mit Sicherheit ist „The Fifth Chapter“ die Scooter-Sensation der letzten Jahre und eine Steilvorlage für alle verbliebenen Skeptiker, sich einmal im Leben in die Arme dieser hassgeliebten Band fallen zu lassen. Alle anderen werden sich mit Tränen in den Augen ertappen, wenn sie feststellen, dass sich offenbar alles ändern musste, damit bei Scooter alles so bleibt, wie es immer war.


SCOOTER
The Fifth Chapter (Album VÖ: 26.09.2014)
Today (Single VÖ: 05.09.2014)
Sheffield Tunes



Eintrag vom: 11.10.2014